Während der Eröffnungswoche der Rencontres d’Arles 2012 wurde auch der angesehene Author Book Award verliehen. Zwei Bücher stachen in meinen Augen aus der Masse heraus.
Hunderte der wichtigsten Fotobuch-Publkikationen in kurzer Zeit anschauen – nur selten bekommt man die Chance, für solch ein intensives Programm, wie bei den Book Awards während der Rencontres in Arles. Dort reihen sich im Parc des Atelier auf schlichten Tischen Buch an Buch. Nachdem ich während meiner Teilnahme an der Eröffnungswoche während der Rencontres einen Großteil der Fotobücher zumindest oberflächlich angesehen hatte, legte ich mich auf zwei Favoriten fest. Meine Wahl fiel auf die Fotobücher »Found Photos in Detroit« von Arianna Arcara und Luca Santese und »Sochi Singers« von Rob Hornstra.
Gewonnen hatte übrigens Christian Pattersons »Redhead Peckerwood«. Die Würdigung der Arbeit in Arles ist wenig überraschend, hatte diese Reise in das Feld der «subjektiven Dokumentation» doch bereits auf den einschlägigen Listen zum besten Fotobuch 2011 ganz oben gestanden.
Found Photos in Detroit
Die beiden italienischen Fotografen Arianna Arcara und Luca Santese reisten in die USA, um die Wirtschaftskrise in den USA zu dokumentieren. Während ihrer Arbeit an diesem Auftrag stießen sie in Detroit auf unzählige Fotos, die in den Ruinen und den Straßen der Stadt verloren oder zurückgelassen wurden. 200 dieser Fotos stellten sie für das Buch »Found Photos in Detroit« zusammen.
In den letzen Jahren setzte ein regelrechter Ruinen-Tourismus nach Detroit ein, der das desolate Bild der Stadt prägte. Manche bezeichnen diese Art der Aufnahmen, entstanden in den verwüsteten Gebäude und Straßen der Stadt, vielleicht zu Recht als »Ruinen-Porno«. Und obwohl diese Bilder oft die Schönheit des Verfalls huldigen und eine Ästhetik mitbringen, der man als Betrachter nur zu gerne erliegt, verfestigt sich das Bild, das die Welt von Detroit hat: Hoffnungslos und kriminell.
»Schöne« Bilder sucht man in »Found Photos in Detroit« genauso vergeblich. Sie erzählen die menschliche Seite der Tragödie, die Detroit nun seit Jahrzehnten begleitet. Damit schaffen das Buch zwar kein positiveres Bild der Stadt, fügt ihm aber eine ganz andere Facette hinzu. Bei den Reproduktionen der Aufnahmen handelt es sich um alltägliche oder funktionale Bilder, oft Polizeiaufnahmen. Diese durch Wetter und Abfall schwer zerstört. Die Aufnahmen befriedigen einen voyeuristischen Impuls und ein wenig fühlt man sich, als würde man sich dem Einbruch in die Privatsphäre der Dargestellten schuldig machen, als würde ein fremdes Fotoalbum heimlich anschauen. Und so blättert man sich vorwärts, um zu erfahren welche Geschichten und Schicksale einen auf den folgenden Seiten erwarten. Stets begleitet wird man dabei von einem Schauder, der einen angesichts der Armut und Zerstörung, die die Bilder nur erahnen lassen, überkommt. Meist blicken einen traurige Gestalten auf lieblosen Bilder an. Die Fotografien sind halb verblichen, die Oberflächen aufgequollen und ausgewaschen und besitzen durch diese eine ganz neue Ästhetik.
Die Gestaltung des Buchs, Format, Cover und die Anordnung der Bilder greifen die Idee eines Fotoalbums auf. Das Hardcover ist in schlichten Pappgrau und mit einem Label-Aufkleber versehen. Die Bilder sind scheinbar lustlos »eingeklebt«. Insgesamt erinnert das Ganze an den nüchternen Stil einer Polizeiakte, was passt, denn jedes Bild repräsentiert ein mögliches Schicksal, jede Gebäudeaufnahme einen potentiellen Tatort. Was genau vorgefallen ist, können wir als Betrachter natürlich nicht mit Sicherheit wissen. Die Geschichten, die sich im Kopf des Betrachters abspielen, machen den Reiz des Buches aus.
»Found Photos in Detroit« ist in einer limitierten Auflage von 1000 Stück erschienen und über die Homepage von Found Photos in Detroit erhältlich.
Über das Projekt ist auch ein Kurz-Film veröffentlich worden, der Euch zusätzliche Einblicke in das Projekt gibt.
Sochi Singers
Sochi ist ein Ort im Osten Russlands und liegt eingeklemmt zwischen Georgien und dem Schwarzen Meer. Bekannt geworden ist die Stadt, weil dort die Olympischen Winterspiele 2014 stattfinden. Im Zuge dessen wird diese Region in den nächsten Jahren radikalen Änderungen unterzogen. Mit einem Gewaltakt soll die Region aufgehübscht werden. Im Rahmen des »Sochi Projects« haben es sich der Fotograf Rob Hornstra und der Autor und Filmemacher Arnold van Bruggen zur Aufgabe gemacht, Sotchi und die Veränderungen in der Gegend zu dokumentieren.
Das Buch »Sochi Singers« ist ein Teil dieses Langzeitprojekts. Rob Hornstra dokumentiert die lebendige Szene der Sänger, die die Gäste in den unzähligen Restaurants unterhalten sollen. Sotchi ist ein beliebter Ferien-Ort und wird in Russland als die »Russische-Riviera« gehandelt. Natürlich liegt dem Ganzen ein humoristisches Element zu Grunde, wobei der Autor dies dem Betrachter nicht aufzwingt: Die Bilder dokumentieren nüchtern im dokumentarischen Stil, was die Gäste erwartet. Die typische Band besteht aus einer jungen Dame am Mikrofon und einem etwas unbeholfen wirkenden Mann, der Keyboard, Mixer und Effektgeräte bedient. Besuchern hiesiger Familienfeiern könnte die Zusammenstellung bekannt vor kommen.
Rob Hornstra ist bekannt für seine Indepentend-Buchprojekte und »Sochi Singers« merkt man die Liebe zum Detail an. Der Einband ist groß und erstrahlt in einem lackierten Weiß. Auf ihm sind Lettern in großen goldenen Buchstaben zu finden. Die Aufmachung passt perfekt zum Setting des auf Ferienort gepimten Kurorts am Meer, geht es beim Strand-Urlaub in der Ferne doch auch immer irgendwie ums präsentieren und repräsentieren.
Das Buch hat bereits einige Preise abgeräumt, darunter den World Press Photo Award 2012 in der Kategorie Arts & Entertainment Stories. »Sochi Singers« ist ebenfalls in der limitierten Auflage von 1000 Stück erschienen und über die Website des Sochi Projects erhältlich.
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RT @mittleresgrau Meine Favoriten des Rencontres d'Arles Book Award: Found Photos in Detroit und Sochi Singers http://t.co/myZw2VoX
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