Ihr verbringt Euren Urlaub in diesem Jahr in der Provence? Dann solltet Ihr einen Halt in Arles einlegen. Beim Rencontres d’Arles Fotofestival bekommt Ihr eine Reihe hochwertiger Ausstellungen geboten. Mit seinen 47 ausgestellten Fotografen bietet das Festival genug, um über 2 Wochen nichts anderes zu machen, als Fotoausstellungen zu besuchen. Welche der Ausstellungen sollte man also unbedingt sehen?
Vielen Süd-Frankreich Urlaubern wird es so gehen, dass sie im Sommer ohnehin in der Provence unterwegs sind und Arles nur eine Station unter vielen ist. Die Stadt, die viele alte römische Gemäuer bietet und in der Van Gogh seine berühmtesten Gemälde anfertigte, hat nämlich auch ohne Fototrubel ihre Reize. Für den von Hitze geplagten Urlauber, dem neben den alten Bauten des „Tors zur Camargue“ noch den Sinn nach Ausstellungen steht, stellt sich natürlich die Frage, was er sich in der kurzen Zeit ansehen soll. Als kleine Anleitung, präsentiere ich Euch die Ausstellungen, die den größten Eindruck bei mir hinterlassen haben.
The Mexican Suitcase
Um zu erklären, worum es in der Ausstellung The Mexican Suitecase geht, muss man etwas weiter ausholen.
Wir schreiben das Jahr 1937. Der Fotograf David „Chim“ Seymour wird vom Magazin Regards auf einen Einsatz in den spanischen Bürgerkrieg geschickt. Später reisen dann seine Freunde, das Paar Gerda Taro und Andrei Friedmann, auf eigene Faust und ohne Auftrag in das Krisengebiet, um vor Ort zu berichten. Letzterer wird unter dem Pseudonym Robert Capa schon bald als „bester Kriegsfotograf aller Zeiten“, weltberühmt. Taro stirbt 1938, während ihrer Arbeit, bei Brunete und gerät bald in Vergessenheit.
2 Jahre nach der Niederlage der Republikaner in Spanien machen sich Chim und Capa in Paris daran, die Negative der drei Fotografen zu sichten und die wichtigsten Geschichten zu archivieren. In den Wirren des 2. Weltkrieges – die Deutsche Armee rückte auf Paris zu – verschwindet der Koffer spurlos. Für Capas Bruder wird die Jagd nach dieser wertvollen Hinterlassenschaft zur Lebensaufgabe. Erst kurz vor seinem Tod gelingt es ihm, in Zusammenarbeit mit dem ICP die Pappkoffer wieder zu erlangen.
The Mexican Suitecase dokumentiert den Spanischen Bürgerkrieg aus der Sicht der Kommunisten und offenbart die propagandistische Macht der Fotografie, die die Welt zur Anteilnahme an diesem Konflikt bewegte. Sie erzählt aber auch die Geschichte eine großen Freundschaft, die tragisch enden soll. Alle drei Fotografen werden im Laufe der Jahre ihr Leben für ihre Arbeit und Passion lassen. Und so spannt die Ausstellung einen großen Bogen von den Anfängen der Karrieren der Fotografen und den des modernen Fotojournalismus, den Taro, Chim und Capa entschieden prägten, bis zum heutigen Tage.
Erzählt wird der Verlauf des Konfliktes chronologisch anhand der Kontaktabzüge aus der Mexican Suitecase. Die Kontaktabzüge bietet die Gelegenheit, den Fotografen quasi „live“ über die Schulter zu schauen. Ergänzt werden die Aufnahmen durch original Ausgaben der Publikationen, die damals Bilder aus dem gezeigten Bestand verwendeten. Gezeigt wird außerdem die Korrespondenz der 3 Fotografen unter einander, mit den Büros der Agenturen und Zeitschriften sowie den Propagandaverantwortlichen der Republikanischen Armee. Auf diese Weise zeigt die Ausstellung auch, wie der Hunger der Welt nach Bildern damals gestillt werden konnte.
Ebenfalls sehenswert ist der Film zur Geschichte der Mexican Suitecase von Trisha Ziff, der das Schicksal der Negative auf eine bewegende Art und Weise mit der Geschichte des Scheiterns der antifaschistischen Republikaner verknüpft. Er macht deutlich, wie groß der Bedarf bei Veteranen, Emigranten und ihren Nachfahren ist, die Geschichte aufzuarbeiten.
From Here On
Diese Ausstellung besteht eigentlich aus 20 Einzel-Ausstellungen und jede der Arbeiten stellt das, was man sich unter Fotografie vorstellt, ein wenig auf den Kopf. Die Kuratoren (u.a. Martin Paar, Erik Kessels, Joan Fontcuberta) würdigen mit ihrer Wahl der Künstler diejenigen, die neue Wege mit ihrer Arbeit beschreiten.
Allen Werken gemeinsam ist, dass sie unsere Vorstellung der Urheberschaft in der Fotografie in Frage stellen. Der Fotograf als „Editor“, der via „Copy und Paste“ digitale Fundstücke neu arrangiert, dies ist eine Strömung, die nun, mit dem fortschreitenden Verbreitung digitaler Distributionskanäle, einen ungeheuren Aufwind erfährt. Wo die Arbeitsleistung des ursprünglichen Erstellers eines Inhaltes aufhört und die des Arrangeurs beginnt, darüber wird seit den 80er Jahren bereits in der Musikindustrie im Zusammenhang des Sampling debattiert und gerichtlich gestritten.
Die vielen Serien zeigen die Vielfalt der Nutzungsformen von Bildern. Ob Kleinanzeigen, Familienbilder oder Aufnahmen von Überwachungskameras, sie alle produzieren täglich Unmengen an Bildmaterial. Dadurch, dass die Aufnahmen aus ihrem originären Kontext gerissen werden, manchmal mit belustigender oder gar schockierender Wirkung, wird auch die ursprüngliche Nutzung in Frage gestellt.
Diese Ausstellung hebt die Problematik des Urheberrechts und des Rechts am eigenen Bild auf eine völlig neue Ebene und wird in den nächsten Jahren mit Sicherheit für Diskussionsstoff sorgen. Die Frage mit der man die Ausstellung unweigerlich verlässt ist, ob das Überangebot der Bilder, dass sich die hier ausstellenden Künstler zu nutze machen, ein Ende der Fotografie bedeutet, wie man sie kennt. Ist jeder mit Kamera ein Künstler? Vielleicht. Aber das entscheidende ist, dass man heutzutage Fotograf sein kann, ohne jemals selbst eine Kamera in die Hand zu nehmen. Das zeigen die Arbeiten.
Ihre Intentionen hinter der Provokanten Ausstellung haben die Kuratoren in einem Manifest zusammengefasst. Damit ihr einen Eindruck eine Vorstellung der präsentierten Arbeiten bekommt, möchte ich Euch eine Arbeit kurz vorstellen.
Penelope Umbrico
Die Künstlerin Penelope Umbrico war gleich zwei Mal bei den Rencontres vetreten. Sie war, neben ihrer Arbeit, die in der Ausstellung From Here On gezeigt wurde, ebenfalls für den Discovery Award nominiert. In ihren Arbeiten setzt sie sich mit dem Überangebot fotografischer Darstellungen in verschiedenen Internetnetzwerken auseinander.
Ihre Arbeiten spielen mit den Spannungen zwischen den physischen Objekten, digitalen Abbildern dieser und was passiert, wenn man die digitalen Fotografien wieder in die physische Welt zurückholt und sie als Kunst präsentiert.
So sammelt sie z.B. für die Arbeit Suns (From Sunsets) from Flickr Bilder von Sonnenuntergängen bei dem Online-Bilderdienst Flickr, die sie an einer riesigen Wand anklebt. Die Sammlung der Fotos ergibt eine Wand aus wohligen, roten Sonnenuntergängen. Natürlich spielt die Künstlerin mit der eigentlich lächerlichen Vorstellung, dass Menschen zu Millionen die selben Bilder ins Internet hochladen. Aber wurde sowieso nicht Alles schon einmal fotografiert, egal wie sehr man nach Individualität strebt? Und so stellt die Arbeit auch die Originalität eines jeden Fotografen in Frage. Postmoderne pur quasi.
Für For Sale/TVs From Craigslist sammelte Umbrico Bilder von Fernsehgeräten, die in dem Internet-Kleinanzeigen Markt Craigslist inseriert waren. Aus diesen schnitt sie nur die TV-Geräte aus, belichtete sie auf Fotopapier, zog diese auf und arrangierte sie im Rahmen einer Installation. Diese wird Umbrico wiederum auf Craigslist zum selben Preis wie das originalen Fernsehgerät inserieren. Der potentielle Käufer erfährt erst wenn er auf das Angebot klickt, worum es sich handelt und erhält als glücklicher Finder das Kunstobjekt kostenlos.
So findet das zunächst reale Objekt, in Form einer Fotografie den Weg in die Virtualität des Internet, wird dann von Umbrico in ein neues, dem originären zumindest ähnliches Objekt verwandelt, nur um dann wieder den Weg zurück ins Virtuelle zu finden und als physisches Objekt beim „Käufer“ zu landen.
Abschließend muss man sagen, dass From Here On weniger durch viele sehr starke Arbeiten besticht, sondern vor allem durch die Masse ungewöhnlicher Ansichten auf die, im Kern, ähnliche Thematik. Alle Fotografen werden unter einem Dach in einer der alten Hallen des ehemaligen SNFC Geländes ausgestellt, dem Parc des Atelier.
Graciela Iurbide
Sehr gefallen in hat mir die Retrospektive der Arbeit von Graciela Iturbide. Die mexikanische Fotografin war mir bis zu meinem Besuch in Arles unbekannt und es war schön, ihre Fotografie zu entdecken.
Ihre starken Portraitaufnahmen, die eine ungeheure Nähe zum Subjekt vermuten lassen, ermöglichen einen vermeintlich tiefen in die Seelen ihrer Subjekte. Die unterprivilegierten Ur-Amerikaner, die sie porträtiert, strahlen einen großen stolz, aber auch viel Melancholie aus. Ihre späteren Arbeiten zeigt ihr Gespür für sorgfältige Kompositionen und serielles Arbeiten. Die Arbeit En el nombre del Padre (Im Namen des Vaters), die die Vermischung indianischer Opferzeremonien mit christlichen Festen dokumentiert, zeigt einen poetischen Blick, wo so manch anderer mit journalistischer Genauigkeit gearbeitet hätte. Auf den teilweise grausamen Darstellungen entfernt sich ihr Blick vom Subjekt und sie entwirft im Zusammenspiel mit dem Titel der Arbeit doppeldeutige Bildkompositionen.
Spektakulär ist ihre Abeit Frida’s bathroom. In 2007 wurde sie ausgewählt, die Fundstücke in dem – auf Diego Rivieras Wunsch – seit 50 Jahren verschlossenen Badezimmer Frida Kahlos zu dokumentieren. Der Aufgabe wird sie durch ihre surrealistisch-minimalistisch anmutenden Bildaufbau gerecht. Hier wurde nicht einfach aufgezeichnet. Iturbide setzt jedes Stück an Ort und Stelle in Szene und verleiht den persönlichen Gegenständen Kahlos eine mystische Aura.
Allen Arbeiten Iturbides ist gemein, dass sie hervorragend in schwarz-weiß ausbelichtet sind: Hier dominieren wohl überlegte Kontraste, dunkle Töne und sattes Schwarz.
Die hier genannten Ausstellungen der diesjährigen Rencontres stellen natürlich nur einen kleinen Ausschnitt dar. Sehenswertes gibt es an jeder Ecke – nicht nur fotografisches. Plant bei Eurem Besuch also ausreichend Zeit ein.
Wart Ihr auch bei den Rencontres dieses Jahr? Welche Ausstellungen haben Euch am besten gefallen?
[Update:] Nachdem ich diesen Artikel fertig gestellt hatte, sah ich die Foto-TV Folge zum Rencontres. Dort findet ihr ab Minute 5 ein interessantes Interview zur From Here On Ausstellung. Joachim Schmidt, einer der Kuratoren, geht darin noch einmal detailliert auf die Intention der Ausstellung ein.